Ein explosives Erbe: Blindgänger

Baustellen sind für alle Beteiligten ein Ärgernis. Ganz gleich, ob neu gebaut, verlegt, saniert oder abgerissen wird: Eine Baustelle kann gravierende Auswirkungen auf die Mobilität haben und mitunter den Verkehr ganzer Gemeinden oder Regionen empfindlich stören. Doch einige Baustellen fördern nicht nur den verständlichen Unmut von Bürgerinnen und Bürger zutage, sondern auch Objekte, die eine ernste Gefahr für Leib und Leben darstellen – auch nach rund 80 Jahren. Erfahren Sie hier, warum ein Blindgänger-Fund in unserem Versorgungsgebiet nicht ungewöhnlich ist, was dann passiert und wie oft das eigentlich vorkommt.

Über die meisten Blindgängerfunde wird nicht berichtet

Nicht jeder Blindgänger wiegt viel oder ist sonderlich groß. Tatsächlich schaffen es meist nur schwere Fliegerbomben – sogenannte Abwurfmunition – in die mediale Berichterstattung. Insbesondere dann, wenn deren Fund und die folgende Beseitigung zu großen Beeinträchtigungen führt. Viele andere Kampfmittelfunde werden oft gar nicht erwähnt. Dabei werden kleinere Kampfmittel häufiger gefunden. Beispielsweise nicht detonierte Sprenggranaten. Während es gewiss regionale Unterschiede gibt, ist das Land Nordrhein-Westfalen und vornehmlich der Niederrhein und die Euregio stark belastet.

Denn 48 Prozent der Luftangriffe gegen Deutschland haben sich auf Nordrhein-Westfalen als das industrielle Herz des ehemaligen Deutschen Reiches konzentriert. Während Fliegerbomben größer sowie schwerer sind und somit auch über mehr Sprengkraft verfügen, machen alte Luftbildaufnahmen, die nach den Bombardierungen angefertigt wurden, ein Aufspüren einfacher: nicht-detonierte Abwurfmunition lässt sich auf den hochauflösenden Bildern erkennen. Kleinere, noch scharfe Sprenggranaten hingegen nicht – wenn überhaupt Luftbilder von den Gebieten gemacht wurden, auf denen diese niedergegangen sind, wie beispielsweise unserem Versorgungsgebiet.

Warum Blindgängerfunde in unserer Region häufig sind

Vom Herbst 1944 bis zum Kriegsende tobte im Raum Aachen, der Eifel und am Niederrhein der erbitterte Landkrieg. Aachen war beispielsweise die erste deutsche Großstadt, die von den Alliierten eingenommen wurde. Danach lieferten sich angloamerikanisch und deutsche Truppen eine Vielzahl an Verteidigungsschlachten, von denen die Schlacht im Hürtgenwald die bekannteste werden sollte. Auch die Gemeinden des Kreis Düren wurden Zeugen von schweren Kämpfen und ungeahnter Zerstörung. Während die augenscheinlichen Spuren der Kämpfe im Laufe der Jahrzehnte verschwanden, ruht heute noch viel Munition unter der Erde.

Langerwehe, Jüngersdorf, Merode und Luchem wurden ab Mitte November 1944 Schauplatz erbitterter Gefechte und lagen für mehrere Wochen unter schwerem Artilleriebeschuss. Dabei wurden Granaten verschiedener Kaliber von beiden Seiten verschossen, von denen manche nicht detonierten. Neben Stellungen gerieten auch Straßen und insbesondere Kreuzungen in das Visier der Kanoniere. Versorgungsleitungen wie Wasserrohre, Stromleitungen oder Telekommunikationskabel werden traditionell im Nahbereich von Straßen verlegt. Aus diesen Gründen sind Blindgängerfunde in unserer Region und vorwiegend bei Tiefbauarbeiten in unserem Versorgungsgebiet nicht unüblich.

Unsere Baustellen: Vorherige Sondierung verpflichtend

Wenn wir Arbeiten an unseren Versorgungsleitungen oder die Erweiterung unseres Netzes planen, müssen wir diese anzeigen und bei der Bezirksregierung eine Luftbildauswertung beantragen. In den meisten Fällen ergibt die Auswertung einen Kampfmittelverdacht. Auch wenn keine nicht explodierte Munition erkennbar ist, da unser Versorgungsgebiet ab Herbst 1944 stark umkämpft war. Die Folge ist, dass das freizulegende Gebiet sondiert werden muss. In der Regel kommen hier Metalldetektoren eines Fachbetriebs oder des Kampfmittelräumdiensts zum Einsatz. Jedoch lässt sich die Sondierung in bebauten Gebieten und insbesondere an Straßen, unter denen Versorgungsleitungen in der Regel liegen, in vielen Fällen nicht ergebnissicher durchführen. Denn zu viele metallische Objekte liegen unter der Erde, die eine Sondierung erschweren.

Während die Sondierung in Feldlage und in Neubaugründen in der Regel kein Problem darstellt, greift man bei den meisten Tiefbauarbeiten in bebauten Gebieten zu einer kampfmittelbegleitenden Baumaßnahme. Ein Mitarbeiter eines Fachbetriebs oder des Kampfmittelräumdiensts begleitet dann die Bauarbeiten und überwacht die Arbeiten fortwährend vor Ort. Das Abtragen der Erdschichten sowie der Aushub dauern dann länger, weil Vorsicht geboten ist. Wird bei den Arbeiten Munition entdeckt, muss diese vorsichtig und gesichert freigelegt sowie letztlich geborgen und entsorgt werden. Maßnahmen, die Zeit beanspruchen und den geplanten Bauablauf empfindlich stören. Wie beispielsweise auf unserer Baustelle am Pochmühlenweg, auf der wir im Jahr 2023 gleich zwei Sprenggranaten fanden.

Wie viele Blindgänger werden jährlich in NRW gefunden?

Auch rund acht Jahrzehnte nach Beendigung der Feindseligkeiten werden in NRW jeden Tag explosive Relikte des Krieges zutage gefördert. Beinahe immer im Zuge von Baumaßnahmen durch Sondierverfahren, die baubegleitende Kampfmittelräumung oder als „Zufallsfund“. Im Jahr 2022 wurden in NRW durch den Kampfmittelräumdienst 239 Bomben mit einer Bruttomasse von 50 kg oder mehr geräumt. Wenn man auch leichtere Bomben einrechnet, mussten die Kampfmittelbeseitigungsdienste in unserem Bundesland 1.443-mal ausrücken.

Kleinere Sprenggranaten beschäftigen die Spezialisten beinahe doppelt so häufig. Mit 2.812 Funden im Jahr 2022 war die Zahl der freigelegten und entschärften Geschosse im Vergleich zu den Bomben beinahe doppelt so hoch. 32.719 Anfragen sind bei den Kampfmittelbeseitigungsdiensten eingegangen. Die meisten (9.450) in unserem Regierungsbezirk Köln.

Präventive Kampfmittelbeseitigung: Bauherren in der Pflicht

Vor Beginn jeglicher Bauarbeiten, die Eingriffe in das Erdreich beinhalten, ist eine präventive Beteiligung des Kampfmittelbeseitigungsdienstes erforderlich. Zur Bewertung potenzieller Gefahren erfolgt zunächst eine Luftbildauswertung. Der Bauherr stellt hierfür einen Antrag auf Luftbildauswertung bei der örtlichen Ordnungsbehörde (öOB). Die öOB leitet die Anfrage an den Kampfmittelbeseitigungsdienst (KBD) weiter. Basierend auf Luftbildern und anderen Unterlagen nimmt der KBD eine Gefahreneinschätzung vor und kann gegebenenfalls eine lokale Kampfmittelüberprüfung empfehlen. Die endgültige Entscheidung, ob den Empfehlungen des KBD gefolgt wird, liegt allein bei der örtlichen Ordnungsbehörde, die dem Bauherrn mitteilt, ob eine Kampfmittelüberprüfung vor Ort notwendig ist oder nicht. Weitere Informationen finden Sie hier.

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